Der nur wenige Millimeter große Bücherskorpion (Chelifer cancroides) gilt
in Mitteleuropa als das bekannteste Mitglied der Pseudoskorpione, einer
Ordnung der Spinnentiere. In Wohnräumen jagt er Hausstaubmilben sowie
Staub- und Bücherläuse. Auch in Bienenstöcken erlegt er Schädlinge.
Dabei setzt er häufig sein Gift ein. Hessische Forschende haben nun
erstmals die Bestandteile dieses Gifts umfassend charakterisiert – und
dabei Moleküle mit starker Wirkung auch gegen sogenannte Krankenhauskeime entdeckt. Die Ergebnisse können künftig dabei helfen, schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten zu bekämpfen.
Es
gelang einem Team hessischer Forscher*innen des LOEWE-Zentrums für
Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) und weiterer
Institutionen erstmals, alle bekannten Mitglieder einer Giftstofffamilie
des Bücherskorpions (Chelifer cancroides) im Labor künstlich
herzustellen und ihre Aktivität zu untersuchen. Dabei stießen die
Wissenschaftler*innen auf eine überraschend stark ausgeprägte
Wirksamkeit gegen einen bekannten Krankenhauskeim, den sogenannten
Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Staphylokokken
sind häufig vorkommende Bakterien, die insbesondere die Haut und
Schleimhäute besiedeln. Die Besonderheit der MRSA-Varianten ist dabei,
dass sie gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind und dadurch
schwer behandelbare Infektionen beim Menschen verursachen, unter anderem
nach operativen Eingriffen.
Die analysierte Toxinfamilie war
in einer vorangehenden Arbeit bei der Entschlüsselung des Giftcocktails
des Bücherskorpions neu entdeckt und als „Checacine" benannt worden. Um
schnell und effizient mehr über die Wirkungsweise dieser bisher
unbekannten Toxinklasse herauszufinden, testeten verschiedene
Arbeitsgruppen des LOEWE-Zentrums TBG parallel die Aktivität der Toxine
gegen Tumorbildung, Bakterien und Entzündungen – am Frankfurter
Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP),
an der Goethe-Universität Frankfurt und am Gießener Fraunhofer-Institut
für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Institutsteil
Bioressourcen (IME-BR). Die Studie wurde im Fachjournal „iScience"
veröffentlicht.
Doch bis zu einem möglichen pharmakologischen
Einsatz gilt es noch weitere Hürden zu überwinden: „Unsere Daten zeigen,
dass die Checacine leider auch eine gewissen Giftigkeit für menschliche
Zellen aufweisen können und unter Umständen selbst
Entzündungsreaktionen hervorrufen könnten. Wir müssen also, wie bei
anderen Wirkstoffen genauso üblich, ihre Struktur und somit auch ihre
Wirkung noch durch biotechnologische Verfahren optimieren", erläutert
die Co-Erstautorin der Studie, TBG-Wissenschaftlerin Dr. Pelin Erkoc,
die während der Analysen am Institut für Pharmazeutische Biologie der
Goethe-Universität Frankfurt tätig war. „Das Potenzial dieser Wirkstoffe
ist jedoch jetzt schon deutlich zu erkennen. Laut Prognosen könnten
antibiotikaresistente Infektionen in den nächsten Jahrzehnten zur global
häufigsten krankheitsbedingten Todesursache avancieren. Deshalb ist es
wichtig, auch mit ungewöhnlichen Ideen nach neuen Lösungsansätzen zu
suchen", ergänzt Dr. Michael Marner, Postdoktorand am Fraunhofer IME-BR
und Co-Autor der Arbeit.
„Tiergifte sind eine wahre Schatztruhe
voller möglicher Wirkstoffkandidaten, doch nur ein kleiner Teil wurde
bisher untersucht", betont Studienleiter Dr. Tim Lüddecke, Leiter der
Nachwuchsgruppe Animal Venomics am Fraunhofer IME-BR und der
Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Mitglied des LOEWE-Zentrums TBG.
„In meiner Gruppe haben wir moderne systembiologische und
biotechnologische Methoden entwickelt, um gezielt die schwierig zu
analysierenden, sehr kleinen Gifttiere zu erforschen. Wir fokussieren
uns dabei besonders auf Spinnentiere. Sie sind sozusagen die
Meisterchemiker unter den Gifttieren: Ihre Gifte sind besonders komplex
und pharmakologisch vielversprechend. Unsere neuen Ergebnisse zu den
Checacinen zeigen, wie sehr es sich lohnt, einen genauen Blick in das
unbekannte Universum der Gifte kleiner Krabbeltiere zu werfen",
resümiert Lüddecke.
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